
Streit mit EU Johnson stimmt auf harten Brexit ein
Stand: 16.10.2020 15:27 Uhr
Im Brexit-Streit scheint der britische Premierminister aufs Ganze gehen zu wollen. Johnson kündigte an, Großbritannien mache sich für einen No-Deal bereit. Doch es bleibt eine Hintertür.
Der britische Premierminister Boris Johnson hat sein Land auf einen harten Bruch mit der Europäischen Union zum 1. Januar eingestimmt. Die EU habe offenkundig kein Interesse an einem von Großbritannien gewünschten Freihandelsabkommen wie mit Kanada, sagte Johnson. Dementsprechend erwarte man nun eine Beziehung wie mit Australien, also ohne Vertrag.
Gleichwohl ließ sich Johnson im Brexit-Streit eine Hintertür offen, doch noch weiter mit der EU über einen Handelspakt zu verhandeln. Dafür müsse die EU allerdings ihre Haltung ändern, sagte der Premier in einem im Fernsehen übertragenen Statement.
Merkel hält an Verhandlungen fest
Bundeskanzlerin Angela Merkel machte nach Abschluss des EU-Gipfels deutlich, dass sie weiter davon ausgehe, dass die EU und Großbritannien kommende Woche über ein Handelsabkommen beraten. "Ein Abkommen wäre in beiderseitigem Interesse", sagte sie in Brüssel. "Auch hier drängt die Zeit." Sicher müsse bedacht werden, dass es zu keiner Vereinbarung kommen könne, sagte Merkel. Die Bundeskanzlerin wiederholte ihre Aufforderung, dass sich alle Seiten bewegen müssten.
Es gehe keineswegs nur um den Streit um Fischerei-Rechte, betonte Merkel. Vielmehr müssten klare Regeln existieren, was geschehe, wenn Großbritannien nach dem Austritt aus dem EU-Binnenmarkt etwa neue Beihilfe-Regeln einführe, die nicht kompatibel zu EU-Standards sind.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erklärte nach Gipfelende, die Staats- und Regierungschefs der EU seien sich in ihren Ansichten zum Brexit einig und hätten Verhandlungsführer Michel Barnier beauftragt, die Gespräche mit Großbritannien zwei Wochen lang fortzusetzen.
Verhandlungen über Handelsabkommen: Johnson droht mit hartem Bruch
tagesthemen 21:45 Uhr, 16.10.2020, Sven Lohmann, ARD London
Von der Leyen und Michel hoffen auf Lösung
Auch Kommissionspräsidetin Ursula von der Leyen bekräftigte den Willen der EU nach weiteren Verhandlungen. "Wie geplant wird unser Verhandlungsteam nächste Woche nach London fahren, um die Verhandlungen zu intensivieren", schrieb sie auf Twitter. "Die EU arbeitet weiter an einem Deal, aber nicht zu jedem Preis."
EU-Ratspräsident Charles Michel erklärte ebenfalls, man werde weiter an einem Pakt mit London arbeiten. "Ich hoffe, es wird möglich sein, eine Lösung zu finden", sagte er. Die Beschlüsse des Gipfels hätten weiter Bestand. "Was gestern richtig war, bleibt auch heute richtig", sagte Michel.
Annette Dittert, ARD London, zu den Verhandlungen über ein Handelsabkommen
tagesschau 15:00 Uhr, 16.10.2020
EU hatte weitere Verhandlungen angeboten
Johnson hatte eigentlich eine Einigung bis zum EU-Gipfel am 15. Oktober verlangt, was nicht gelang. Danach erwog er den Abbruch der Verhandlungen. Eine glasklare Entscheidung verkündete er nun aber nicht, sondern kündigte die Vorbereitung auf einen Bruch ohne Deal an.
Die EU hatte Johnson hingegen nochmals intensivierte Verhandlungen für die nächsten zwei bis drei Wochen angeboten, mit dem Ziel, bis Ende Oktober oder Anfang November eine Einigung zu erzielen. Gleichzeitig verlangte der EU-Gipfel aber Zugeständnisse von London, worauf die britische Regierung enttäuscht reagiert hatte.
Einbußen schon jetzt zu spüren
Bei den Verhandlungen geht um einen umfassenden Handelsvertrag ab 2021. Großbritannien hatte die Staatengemeinschaft Ende Januar verlassen, ist aber während einer Übergangszeit bis zum Jahresende noch Mitglied im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion. Erst danach kommt der wirtschaftliche Bruch. Ohne Vertrag drohen Zölle und hohe Handelshürden.
Die Wirtschaft auf beiden Seiten warnte vor erheblichen Verwerfungen. Einbußen sind bereits jetzt zu spüren.
Drei Streitpunkte in den Verhandlungen
In den seit Monaten laufenden Verhandlungen gab es lange Zeit fast keine Bewegung. Hauptstreitpunkte waren von Anfang an der Zugang von EU-Fischern zu britischen Gewässern sowie die Forderung der Staatengemeinschaft nach gleichen Wettbewerbsbedingungen für die Wirtschaft, also gleiche Umwelt-, Sozial- und Subventionsstandards.
Im Gegenzug soll Großbritannien Waren ohne Zoll und Mengenbeschränkung in den EU-Binnenmarkt liefern können. Dritter wichtiger Punkt für die EU sind Regeln zur Schlichtung für den Fall, dass eine Seite gegen das Abkommen verstößt. Das rückte zuletzt in den Vordergrund, weil ein britisches Gesetz Teile des bereits gültigen EU-Austrittsvertrags aushebeln soll. Dabei geht es um Sonderregeln für den britischen Landesteil Nordirland. Brüssel reagierte empört auf das sogenannte Binnenmarktgesetz.
Die britischen Wähler hatten 2016 mit knapper Mehrheit für den EU-Austritt gestimmt. Johnson gewann 2019 die Parlamentswahl unter anderem mit der Ansage, den Brexit tatsächlich durchzuziehen.
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