Kommentar
Web-Parteitag der Demokraten Gelungenes Anti-Trump-Potpourri
Stand: 18.08.2020 07:25 Uhr
Konzentriert, abwechslungsreich, wohl dosiert - der virtuelle Demokraten-Parteitag ist gelungen inszeniert. Aber wichtiger ist der Inhalt: ein maximaler Kontrast zu Trumps Bild von der US-Gesellschaft.
Ein Kommentar von Sebastian Hesse, ARD-Studio Washington
Wow, die trauen sich was! Das Amerika, das die Demokraten in ihrem zweistündigen Potpourri aus Videoclips, Grußworten, Ansprachen, Gebeten und Hymnen porträtierten, stellte den größtmöglichen Kontrast zu den Kulissen von Trumps Wahlkampfauftritten dar. Der Präsident inszeniert sich gerne vor einem rein weißen Publikum mit einheitlich-traditionellem Lebensstil. Und stilisiert sich und seine Anhänger zu den Hütern des wahren American Way of Life - so saugt Trump politischen Nektar daraus, dass seine Wähler sich vor Veränderungen und Ungewissheit fürchten.
Dem stellt die Parteitagsregie der Demokraten ein ganz anders Amerika gegenüber: eines des belebenden Nebeneinanders unterschiedlicher Lebensstile, unterschiedlicher Hautfarben, unterschiedlicher Sprachen, unterschiedlicher Lebenswelten. "We the people" lautete das Motto des Auftaktabends, nach den berühmten ersten drei Worten der amerikanischen Verfassung. Dieses Volk, von dem in einer Demokratie alle Macht ausgeht, ist hier ein diverses, ein facettenreiches, dessen Einheit in der Vielfalt liegt.
Größtmöglicher Kontrast zum eindimensionalen Trump-Land
Joe Biden und seine Partei haben zum Auftakt ihrer Convention Stellung bezogen in dem Kulturkampf, den Trump so erfolgreich befeuert. Den Fehdehandschuh haben sie gestern Abend aufgenommen. Sie stellen sich ausdrücklich vor eine Utopie von Amerika, die Trumps Anhängern ein Graus ist. Das machen sie mutig, und richtig: Sie stellen mit ihrer Vision von Amerika den größtmöglichen Kontrast her zum eindimensionalen Trump-Land. Und damit knüpfen sie an diesen Wahlkampf eine weiterreichende Frage als nur, wer in den kommenden vier Jahren im Weißen Haus residieren soll: nämlich die, in was für einem Amerika die Wähler leben wollen.
Trumps Amerika - so der rote Faden, der sich durch den Auftaktabend zog - ist ein geschundenes Land. Eines, das das Übel des systemischen Rassismus nicht in den Griff bekommt. Und eines, das die Pandemie nicht in den Griff bekommt. Trumps Corona-Missmanagement mit den katastrophalen Folgen von hoher Sterberate und Massenarbeitslosigkeit haben sie verknüpft mit dessen Ignoranz gegenüber dem Rassismusproblem. Das ist gewagt und zugespitzt, aber strategisch klug: Bislang dümpelte die Biden-Kampagne vor sich hin.
Ein weiteres Hoffnungszeichen
Trumps Schmähname für Biden, Sleepy Joe, haftete, weil er so passend schien. Aus dem Keller seines Hauses in Delaware konnte der Herausforderer nur schwer Aufmerksamkeit erzielen gegen Amtsinhaber im Dauer-Scheinwerferlicht. An der Hand von Kamala Harris ist Biden aus diesem Keller heraus. Und wer weiß: Vielleicht ist die sehr konzentrierte, schnell geschnittene, abwechslungsreiche und wohl dosierte Inszenierung des Web-Parteitags sogar zeitgemäßer und unterhaltsamer als das Traditionsformat.
Die gelungene Online-Inszenierung ergänzt die anderen Hoffnungszeichen für die Demokraten: das Umfragehoch, den Schwung, den die Kamala-Harris-Nominierung ausgelöst hat, vor allem aber die Einheit der Partei. Das alles überragende Wahlziel, die Ära Trump zu beenden, hat die Partei so zusammengeschweißt, dass die destruktiven Flügelkämpfe der Vergangenheit vorerst überwunden scheinen. Damit haben die Demokraten die wichtigste Voraussetzung verinnerlicht: Nur eine geeinte Partei kann auch die Einheit des zerrissenen Landes wieder herstellen.
Kommentar zum Nominierungsparteitag der Demokraten in den USA
Sebastian Hesse, ARD Washington
18.08.2020 07:51 Uhr
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