
Merkel und Macron zu Moria Berlin und Paris nehmen Minderjährige auf
Stand: 10.09.2020 20:29 Uhr
Nach dem Brand in Moria sollen 400 unbegleitete Minderjährige Griechenland verlassen. Kanzlerin Merkel und Präsident Macron hoffen, dass sich neben Deutschland und Frankreich weitere EU-Staaten an der Aufnahme beteiligen.
Etwa 400 Minderjährige aus dem zerstörten griechischen Flüchtlingslager Moria sollen in EU-Ländern aufgenommen werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte bei einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung, sie und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hätten sich auf Bitten des griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis zur Aufnahme der Minderjährigen bereit erklärt, die auf das griechische Festland gebracht wurden. Griechenland flog bereits 400 Minderjährige, die ohne Begleitung ihrer Eltern unterwegs sind, von der Insel Lesbos in die Hafenstadt Thessaloniki aus.
Lage auf Lesbos spitzt sich zu
nachtmagazin 00:51 Uhr, 11.09.2020, Anja Miller, ARD Rom
Macron bestätigte bei einem Besuch in Korsika, dass er gemeinsam mit Merkel eine europäische Initiative zur Aufnahme der Menschen plane. "Wir werden versuchen, eine möglichst große Zahl europäischer Länder zu bewegen, Flüchtlinge aufzunehmen, vor allem Minderjährige", sagte er. Die Zahl von 400 sei nur eine ungefähre Größenordnung und könne sich im Laufe der Gespräche noch ändern, hieß es aus Verhandlungskreisen. Sie hänge auch von den Wünschen der griechischen Regierung ab.
Andere Staaten sollen mitmachen
Sie hoffe, dass sich einige andere EU-Mitgliedsstaaten ebenfalls daran beteiligen, sagte Merkel. Die Migration sei nicht allein das Problem der Länder, in denen die Migranten ankämen, sondern müsse eine europäische Verantwortung werden. Eine gemeinsame europäische Migrationspolitik gebe es derzeit nicht. "Und wenn das so bleibt, ist das eine schwere Bürde für Europa."
"Wir wissen seit Langem, dass Menschen dort unter unwürdigen Bedingungen leben", sagte Merkel mit Blick auf Moria und andere Aufnahmestellen. Der Brand in dem Flüchtlingslager habe "wie im Brennglas gezeigt, was das Problem ist". Deutschland wolle auch helfen, neue und bessere Bedingungen in Moria herzustellen. "So kann es nicht bleiben."
Deutschland hat bereits mehr als 460 unbegleitete Kinder, kranke Kinder und ihre Angehörigen aus den Flüchtlingslagern von den griechischen Inseln aufgenommen. Weitere Aufnahmen kranker Kinder sind bereits in Vorbereitung. Die nun zwischen Merkel und Macron zugesagte Aufnahme soll nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa unabhängig davon stattfinden.
Umdenken in den Niederlanden, Streit in Österreich
Die niederländische Regierung bot an, 100 Menschen aufzunehmen. Bisher hatte die Regierung von Premier Mark Rutte die Aufnahme von Flüchtlingen aus Griechenland strikt abgelehnt. Nun hätten jedoch seine drei Koalitionspartner auf eine Änderung des Standpunktes gedrängt. Das Feuer habe die Lage dramatisch geändert, begründete die zuständige Staatssekretärin Ankie Broekers-Knol den Kurswechsel. Die Niederlande wollen Jugendliche und Familien mit Kindern aufnehmen.
In Österreich ist hingegen ein Streit über die Aufnahme von Migranten aus Moria entbrannt. Vizekanzler Werner Kogler sagte der Tageszeitung "Der Standard", man arbeite daran, den Koalitionspartner bezüglich schneller Hilfe für Mütter und Kinder zu überzeugen. "Wenn Deutschlands Kanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Macron und sogar der bayerische Ministerpräsident Söder Kinder aufnehmen, dann kann das Österreich auch", sagte der Grünen-Politiker. Die Kanzlerpartei, die konservative ÖVP, ist bislang strikt dagegen. Innenminister Karl Nehammer sprach von gewaltbereiten Migranten, die kein Recht auf Asyl in Europa hätten.
Michael Schramm, zzt. Lesbos, mit einer Einschätzung zur Situation der Flüchtlinge
tagesthemen 22:30 Uhr, 10.09.2020
Scholz spricht von "guter Entwicklung"
Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) stellte unterdessen rasche Unterstützung für die betroffenen Kinder und Jugendlichen in Aussicht. Er gehe davon aus, "dass es jetzt eine schnelle Lösung gibt für die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge", sagte er. "Deutschland, Frankreich und einzelne andere Länder sind bereit, da etwas zu tun", sagte Scholz. "Daran wird jetzt gearbeitet."
Scholz bezeichnete es als "gute Entwicklung", dass die Bereitschaft, solidarisch zu helfen, wächst". Er bezog dies sowohl auf Deutschland als auch auf "Europa generell". Die Bilder aus dem Lager Moria, das von Bränden weitgehend zerstört wurde, hätten "uns alle bedrückt". Auf die Frage, ob auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) bei der geplanten Hilfe für die Moria-Flüchtlinge mitziehe, sagte Scholz, er sei "sicher, dass die Regierung hier gemeinsam dazu beitragen wird, dass Deutschland einen solidarischen Beitrag leistet".
Druck auf Seehofer wächst
Zuvor war in Deutschland über die Frage diskutiert worden, ob Deutschland notfalls auch ohne Beteiligung anderer EU-Staaten mehr Migranten von den griechischen Inseln aufnehmen könnte. Die Bundesregierung hatte betont, auf Hilfe vor Ort zu setzen und sich mit Griechenland und den EU-Partnern abzustimmen.
Vertreter von Parteien, Verbänden und Kirchen hatten den Druck auf Seehofer erhöht, die rasche Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria zu ermöglichen. Mehrere Bundesländer und Kommunen boten die Aufnahme von Flüchtlingen an, jedoch dürfen sie das nicht ohne Zustimmung der Bundesregierung, denn die Entscheidungshoheit bei der Aufnahme von Flüchtlingen liegt beim Bund.
Appell mehrerer Unions-Abgeordneter
Auch aus der Union waren Stimmen laut geworden, die mehr Aufnahmen forderten, um die Lage in Griechenland zu entspannen. In einem Brief an Seehofer forderten 16 Unions-Bundestagsabgeordnete die Aufnahme von 5000 Flüchtlingen. "Wir bitten Sie darum, dass Deutschland möglichst gemeinsam mit anderen EU-Staaten, aber notfalls auch alleine, 5000 Flüchtlinge vom griechischen Festland aufnimmt", heißt es in dem Schreiben. Es gehe jetzt nicht vorrangig darum, europäische Flüchtlingspolitik zu gestalten, "sondern offensichtliche menschliche Not zu lindern".
Hilfsinitiative erntet Kritik: "Deutschland und Europa können und müssen mehr tun."
nachtmagazin 00:51 Uhr, 11.09.2020, Alexandra Bidian, ARD Berlin
Das Lager Moria war in der Nacht zum Mittwoch bei mehreren zeitgleichen Bränden fast vollständig zerstört worden. Statt der vorgesehenen 3000 Migranten waren dort mehr als 12.000 Menschen untergebracht. Auf Lesbos verbrachten Tausende Menschen die erste Nacht nach dem Großbrand auf den Straßen rund um das zerstörte Lager Moria. Es gab Zusammenstöße mit der Polizei, Tränengas wurde eingesetzt. Ein Teil der Menschen soll in den kommenden Tagen zunächst auf Schiffen unterkommen.
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