
Neues Parlament für Syrien Wahl ohne echte Wahl
Stand: 19.07.2020 08:37 Uhr
Den Krieg scheint Präsident Assad zu gewinnen, jetzt soll ihn eine Parlamentswahl stärker legitimieren. Doch Alternativen gibt es dabei nicht - und die Syrer kämpfen vor allem mit der Wirtschaftskrise.
Von Björn Blaschke, ARD-Studio Kairo
"Das Parlament 2020…" - seit Wochen werben die syrischen Staatsmedien für die Wahl. Seit vor fast neun Jahren der Krieg im Land begann, ist es die dritte Wahl zum Volksrat, wie das syrische Parlament heißt. Und: Die Vereinten Nationen werden diesen Wahlausgang wohl so wenig anerkennen wie den vorherigen im Jahr 2016.
Mehr als 2000 Kandidatinnen und Kandidaten bewerben sich um die insgesamt 250 Sitze. Zur Wahl stellt sich eine Parteienliste: die Nationale Fortschrittsfront. Überwiegend stehen auf dieser Liste Mitglieder der alles bestimmenden Baath-Partei von Präsident Baschar al-Assad. Dazu kommen Frauen und Männer anderer Parteien, die jedoch alle mit der Baath verbündet sind. 200 Sitze hat die Liste im Volksrat sicher.
Parlamentswahl in Syrien ohne wirkliche Opposition
tagesschau 20:00 Uhr, 19.07.2020, Alexander Stenzel, ARD Kairo
Dazu kommen noch 50 Sitze, die "unabhängigen" Bewerberinnen und Bewerbern vorbehalten sind. Wirklich Unabhängige sucht man allerdings vergeblich, alle gelten als handverlesene Abnicker.
Das kritisiert der ehemalige syrische Parlamentarier Naser al-Hariri, der heute einer der führenden Oppositionellen im Exil ist: Assad wolle der Welt nur die Botschaft verkünden, dass Syrien wieder zur Normalität zurückgekehrt sei, alles wieder ruhig sei, wieder Wahlen stattfänden und die gesetzgebende Rolle des Parlamentes erneut ausgefüllt werden könne.
Stimmabgabe auch für die Rebellengebiete
Viel wichtiger als das mehr oder weniger vorhersagbare Wahlergebnis ist der Weg zum Volksrat: der Wahlprozess. Die vorherige Wahl fand im April 2016 statt - und damit zu einer Zeit, als die Kräfte Assads noch schwach waren und weniger als 40 Prozent Syriens kontrollierten. Mittlerweile beherrschen sie wieder, vor allem wegen der Unterstützung Russlands, gut 70 Prozent des Landes.
Außerdem können die Wahlberechtigten heute für ganz Syrien wählen, also auch für die Gebiete, die noch nicht unter der Kontrolle Assads und seiner Leute stehen. Zwar gibt es in diesen Provinzen, zum Beispiel in Idlib und Rakka, keine offiziellen Wahlzentren. Aber: Die Bürgerinnen und Bürger dieser Gebiete können in anderen Wahlbezirken ihre Stimmen abgeben. Die gelten dann eben für Idlib beziehungsweise Raqqa. Das soll zeigen, dass Assad wieder fest im Sattel sitzt, die Kontrolle über den gesamten Staat zurückerlangt hat und obendrein sein Volk einbindet.
Und das Volk zeigt sich in Umfragen des syrischen Staatsfernsehens als Demokratie-freudig. Auf die Frage, was sie von den Kandidatinnen und Kandidaten erwarteten, antworteten die Befragten: "Baut dieses Land auf und leistet den Bürgern viele Dienste!" oder "Sie (die Volksvertreter) müssen spüren, wie wir leben. Sie sind unsere Zunge, sie müssen unsere Sprache sprechen und unsere Forderungen umsetzen."
Schwerste Wirtschaftkrise unter Assad
Die Wahl heute findet in der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise der 20-jährigen Amtszeit Assads statt. Nach Jahren des Krieges fehlen Auslandsinvestitionen, der Westen hat Sanktionen verhängt, die Korruption blüht. Und auch im Libanon, dem kleinen Nachbarland am Mittelmeer, geht die Wirtschaftskrise tief. Das ist für Syrien ein Problem, denn im Libanon wickeln syrische Privatleute und Firmen seit langem internationale Geschäfte ab.
Die Folge der Wirtschaftskrise und des Krieges: Mehr als 80 Prozent der Bevölkerung leben nach Angaben des UN-Welternährungsprogramms in Armut, sind abhängig von Lebensmittellieferungen. Deshalb auch interessieren sich die wenigsten Syrer für diese Wahl.
Parlamentswahl ohne Qual der Wahl
Björn Blaschke, ARD Kairo
19.07.2020 12:10 Uhr
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