
Corona in Ägypten Die Müllsortierer von Kairo
Stand: 18.04.2020 04:32 Uhr
Sie leben im und vom Müll aus Kairo. Tausende Menschen sortieren jeden Tag in Ägyptens Hauptstadt Abfall. In Zeiten von Corona ein hochriskanter Job, denn sie haben keinerlei Schutz.
Von Daniel Hechler, ARD-Studio Kairo
Mit seinen bloßen Händen sortiert Ibrahim Sayed Flaschen, alte Medikamente, zerbrochene Teller, Lampen und reichlich anderen Unrat. Das Gesicht des 55-Jährigen, seine Klamotten sind vom Schmutz dunkel verfärbt. Eine seiner Töchter steht neben ihm und schaut zu. Überall Fliegen. Es riecht bestialisch.
Jeden Morgen liefern Lastwagen riesige Säcke mit dem Müll aus Kairo an. 16 Tonnen täglich. Ibrahim schneidet sie auf, trennt den Abfall, liefert ihn zur Verwertung wieder ab. Etwa vier Euro bekommt er für den Knochenjob pro Tag. Das reicht kaum, um seine Frau und fünf Kinder durchzubringen. "Wir brauchen jeden Cent", sagt er. "Wir wollen nicht um Geld betteln."
Müll in den Straßen, Häusern, auf den Dächern
80.000 Menschen leben und arbeiten in der Müllstadt, einem informellen Viertel vor den Toren Kairos. Die meisten sind Christen. In den 60er-Jahren kamen sie nach einer Dürre aus dem Süden Ägyptens, zogen in der Hauptstadt ohne Erlaubnis ihr eigenes Viertel hoch. Das Geschäft mit dem Müll war für sie die einzige Chance, zu überleben.
Über die Jahre errichteten sie in ihrem Viertel, das in keinem Reiseführer auftaucht, ein hocheffizientes und profitables System. Einige verdienen damit Millionen. Die Arbeiter aber leben dicht gedrängt im Dreck. Aus Türen und Toren der Häuser quillt der Müll, selbst auf den Dächern liegt er. Auch auf den Bürgersteigen türmt er sich auf. Die Hygiene ist katastrophal. Krankheiten grassieren.
Keinerlei Schutz vor Corona
Schon bislang war es eine schwer erträgliche Situation. In Zeiten von Corona umso mehr. Die Menschen haben keine Schutzmasken, Handschuhe, geschweige denn Schutzanzüge. Nicht mehr zu arbeiten, können sie sich nicht leisten. "Natürlich haben wir Angst vor Corona", sagt Mustafa Mohamed. "Wir haben keinerlei Schutz. Aber was bleibt uns übrig? Wir können nur auf Gott vertrauen."
Offiziell gibt es im Viertel zwar noch keine Corona-Fälle. Allerdings auch keine Tests. Einiges spricht für eine hohe Dunkelziffer. Mustafa erzählt freimütig, dass er vor kurzem schwer erkrankt sei. "Ich hatte alle Symptome von Covid-19, die wir aus dem Fernsehen und Internet kennen. Ich litt an Fieber, Durchfall, zitterte am ganzen Körper." Mittlerweile ist der 25-jährige Müllsortierer wieder fit. Ob er andere angesteckt hat, weiß er nicht.
"Das Land muss sauber bleiben"
Zu Hause bleiben kommt für viele nicht infrage. "Keiner kann 24 Stunden am Stück in der Wohnung sitzen", meint etwa Ayman Shawki. Der 47-Jährige plaudert am Straßenrand angeregt mit seinen Freunden. Das Bewusstsein, dass eine Corona-Infektion das Leben Tausender gefährden könnte, scheint nicht wirklich weit verbreitet. Tatsächlich könnte sich das Virus in der Müllstadt rasend schnell verbreiten.
Irgendwie aber muss die Arbeit weitergehen, auch und gerade in Zeiten von Corona, wie hier viele meinen. "Wir sind so wichtig wie die ägyptische Armee", meint Eid Malak. "Wir sind dafür verantwortlich, dass das Land sauber bleibt."
Hoffen auf Immunität
So sieht das auch der Chef der Müllsortierer, Shehata Mekades. Er residiert in einer Villa am Rand des Viertels, raucht Shisha und schaut sich in seinem Sessel Nachrichten über Corona an. "Der ganze Müll ist voll von Bakterien und Keimen. Wenn wir ihn nicht mehr einsammeln, wäre das für Ägypten eine Katastrophe."
Bei der Regierung hat er um Tausende Masken und Handschuhe gebeten, bislang aber ist noch nichts passiert. Er setzt darauf, dass die Müllarbeiter über die Jahre gegen Infektionen wie Corona immun geworden sind: "Die riesige Zahl von Mikroben im Körper der Müllsammler tötet den Virus", verkündet Mekades mit großer Gewissheit. Belege für diese Theorie allerdings gibt es keine.
Am Ende sind sie auf sich allein gestellt
Mit Gottvertrauen und einigem Optimismus durch die Krise: Darauf setzen viele hier. Dass eine Infektion sich rasend schnell verbreiten könnte, von hier aus auch auf andere Viertel der Hauptstadt, das will hier niemand so recht sehen.
Ein Leben im Müll
tagesschau 20:00 Uhr, 18.04.2020, Daniel Hechler, ARD Kairo
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