
Lage Geflüchteter in Bosnien Versuchen, nicht zu erfrieren
Stand: 12.01.2021 16:42 Uhr
2000 Menschen versuchen im Norden Bosnien-Herzegowinas bei Schnee und Kälte im Wald zu überleben. Das abgebrannte Lager Lipa gilt trotz neuer Zelte als unbewohnbar - und die Kommunen blockieren Hilfe.
Von Christian Limpert, ARD-Studio Wien
Nicola Bay und sein Team von der Hilfsorganisation Danish Refugee Council haben einen langen Tag vor sich. Gerade haben sie ihren Transporter am Rand eines Bergwaldes im Norden Bosnien-Herzegowinas geparkt, schon tauchen, wie aus dem Nichts, 60 Geflüchtete auf, die meisten aus Bangladesch. Weiter oben im Wald haben sie ein inoffizielles Camp errichtet, von der Straße nicht zu sehen.
Die Helfer kommen hier regelmäßig vorbei, verteilen Essen, Wasser und Decken. Und sie kümmern sich um Verwundete und Verletzte, so gut es geben geht: mit Druckverbänden. Viele der Menschen müssten zu einem richtigen Arzt, sagt Bay. Doch abgesehen von der Unterstützung durch Hilfsorganisationen sind die Menschen hier draußen im Wald auf sich alleine gestellt.
"Es ist doch keine Lösung, die Menschen hier mit Essen zu versorgen", sagt er verärgert. "Das ist keine sichere und würdige Art zu leben. Die Menschen müssen in ein offizielles Flüchtlingslager, nicht in solche Camps im Wald."
"Es gibt keinen Ort, an dem es trocken ist"
Die Unterschlupfe, die sich die Geflüchteten weiter oben im Wald gebaut haben, bestehen aus Plastikplanen, gespannt über Äste. "Das ist schrecklich", sagt Ahmed Shuman, ein 22-jähriger Mann aus Bangladesh. "Von unten kommt Wasser rein, es gibt hier keinen Ort, an dem es trocken ist."
Doch es gebe keine Alternative, erzählen die Männer. Viele von ihnen seien aus dem offiziellen Camp Lipa hierher geflohen. Auch dieses Lager galt schon seit Monaten als nicht winterfest, seit einem Brand kurz vor Weihnachten ist es unbewohnbar. Inzwischen hat das Militär beheizte Zelte aufgestellt. Doch die reichen nicht aus. Hunderte Menschen sitzen noch immer im zerstörten Teil des Lagers fest und versuchen, nicht zu erfrieren.
Brennholz gegen die Kälte
In verlassenen Containern brennen oft Lagerfeuer aus Plastik, Holz und Müll. Der Geruch ist unerträglich. Sharin und seine Freunde versuchen sich außerhalb ihres Containers zu wärmen, mit Brennholz, das freiwillige Helfer vorbei gebracht haben.
Wie es hier weiter geht, weiß keiner. "Wir haben keine Hoffnung mehr", sagt Sharin. "Wir versuchen einfach, den Winter zu überleben. Und wenn der Sommer kommt, dann sehen wir weiter."
Die Kommunen wollen keine Flüchtlinge
Schnelle Hilfe für die Geflüchteten ist nicht in Sicht: Alle Versuche der Behörden Bosnien-Herzegowinas, neue Lager zu errichten, scheiterten am Widerstand der Kommunen. Und die anderen offiziellen Camps, in denen auch Frauen und Kinder leben, sind bereits überfüllt.
180 inoffizielle Camps gibt es nach Angaben von Danish Refugee Council in der gesamten Region bereits - Waldlager mit bis zu 300 Menschen. Bay zeigt auf eine verlassenes Haus am Straßenrand. Dort treffen sie oft auf Familien, erzählt er. "Im Vergleich zu den Waldcamps ist das Luxus. Aber auch in den verlassenen Häusern gibt es keinen Strom, kein Wasser, keine Heizung."
Kaum hat er das gesagt öffnet sich die Tür. Ein junger Mann schaut vorsichtig heraus, zwei Mädchen kommen angerannt, nehmen die Essenstüten der Helfer und verschwinden wieder.
Berichte von Todesdrohungen bei Pushbacks
Auf der Rückfahrt geht es entlang über Feldwege, die Grenze zum EU-Land Kroatien ist hier nur ein paar hundert Meter entfernt. Plötzlich stehen vier Familien auf der Straße. Sie sind gerade Opfer eines Pushbacks geworden: Kroatische Polizeieinheiten haben sie auf kroatischem Gebiet aufgegriffen und gewaltsam zurückgebracht.
Souher, eine Frau aus Afghanistan, steht noch immer unter Schock. "Sie haben mich und meinen Mann geschlagen", sagt sie. "Und meinen Sohn. Und dann haben sie gesagt: 'Wenn Ihr wieder kommt, bringen wir Euch um.'"
Dass die kroatische Polizei Flüchtende gewaltsam zurück nach Bosnien-Herzegowina zwingt, sei längst Alltag. Oft würden die Menschen regelrecht verprügelt, Handys und Wertsachen würden ihnen weggenommen, berichtet Bay. Tausende solche Fälle hat die Hilfsorganisation Danish Refugee Council bereits registriert. "Das Vorgehen des EU-Landes Kroatien ist inakzeptabel", sagt Bay. Doch auch heute können sie dagegen nicht mehr tun, als ein paar Lunchpakete zu verteilen.
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