
Italien Hafen in Mafia-Hand
Stand: 10.10.2020 09:54 Uhr
Der Containerhafen Gioia Tauro im äußersten Süden Kalabriens gilt als größter Kokain-Umschlagplatz Europas. Von dort verteilt die Mafia Drogen über ganz Europa - auch nach Deutschland.
Von Rüdiger Kronthaler, ARD-Studio Rom
Die Polizei verrät nicht, warum sie zwischen den Containerbergen ausgerechnet diesen einen grauen Container genauer inspizieren möchte. Der Container aus Kolumbien ist mit Hunderten Säcken Rohrzucker gefüllt.
Ein Spürhund kommt zum Einsatz. Seine feine auf Kokain geeichte Nase soll Aufschluss geben. Zehn Polizisten umstellen den Container und leuchten mit Taschenlampen hinein. Wurde womöglich ein geruchsdichter Behälter unter den Säcken versteckt?
Italien: Der Kampf gegen den Kokain-Handel
Europamagazin 12:45 Uhr, 11.10.2020, Rüdiger Kronthaler, ARD Rom
Verluste schmerzen die Mafia nur wenig
Comandante Giampiero Carrieri begleitet die Durchsuchung. Seit Jahren entdeckt die Polizei immer wieder tonnenweise Kokain, denn der Containerhafen Gioia Tauro liegt mitten im 'Ndrangheta-Land. Die Gewinnspanne beim Kokainschmuggel sei so groß, dass sich das Geschäft für die Mafia trotz gelegentlicher Verluste lohne, erklärt Carrieri.
Die Mafia passt ihre Strategien ständig an. Der neueste Trend besteht darin, die Drogen in den Waren selbst zu verstecken und so ins Land zu bringen. Das macht es für die Polizei noch schwerer, das Kokain aufzuspüren.
Leichte Beute für die 'Ndrangheta
Ein Problem ist auch der Hafen selbst. Er entstand in den 1990er-Jahren quasi "auf der grünen Wiese" und ist an keine Stadt angebunden. Er sollte den Menschen im strukturschwachen Kalabrien sichere Arbeitsplätze bringen. Die Küste hier eignet sich sehr gut für einen Containerhafen, weil das Meer hier besonders tief ist. Außerdem ist das Hinterland dünn besiedelt, das machte eine Planung am Reißbrett einfacher. Aber genau das ist nun das Problem.
Denn das Hinterland von Gioia Tauro wird von der 'Ndrangheta kontrolliert. Mafia-Expertin Anna Sergi hat den Hafen Gioia Tauro auf den Drogen-Umsatz hin analysiert und mit anderen Container-Häfen verglichen. Ihr Fazit: Im Hafen in Gioia Tauro könne die Mafia das Kokain leichter an Land bringen, als in anderen Häfen in Europa.
Kontrolle über das Hinterland
Da die 'Ndrangheta das Gebiet um den Hafen engmaschig kontrolliere, sei es für die Mafia-Organisation weniger riskant, Drogen an Land zu schmuggeln, als etwa in den Häfen von Genua oder Livorno.
Ganz zweifellos ist Gioia Tauro wichtig für die regionale Wirtschaft. 1640 Menschen gibt er im strukturschwachen Süden Kalabriens Arbeit. Die Polizei befinde sich in einem Dilemma, bekennt Giampiero Carrieri vom italienischen Zoll. Einerseits müsse sie verhindern, dass die Mafia Drogen im großen Stil importiere. "Andererseits dürfen daraus aber keine zu großen Probleme für den normalen Warenverkehr und die Entwicklung des Hafens enstehen."
Deutsche Ableger der Mafia
Aus Sicht des Journalisten Michele Albanese genügt es nicht, den Hafen als isoliertes Problem zu betrachten. Denn die kalabrische Mafia operiere längst auch außerhalb Italiens. Das Geld, das die 'Ndrangheta in Gioia Tauro verdiene, werde zum Teil auch in Deutschland gewaschen. Seit 40 Jahren sei die 'Ndrangheta in Deutschland verwurzelt, aber die deutschen Behörden hätten das Problem viel zu lange unterschätzt.
Albanese recherchiert für die Zeitung Quotidiano Sud über die 'Ndrangheta und steht auf der Todesliste der Mafia-Organisation. Wenn er sein Haus verlässt, hat er immer zwei Personenschützer bei sich. Albanese fordert eine bessere europäische Koordination. Vor allem Deutschland müsse härter und entschlossener gegen die Mafia vorgehen.
Albanese kritisiert, dass Personen, gegen die in Deutschland wegen Zugehörigkeit zur Mafia ermittelt wird, gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt werden. Dies führe immer immer wieder dazu, dass Verdächtigte untertauchen, weil ihnen eine global operierende Mafia dabei helfe. In Italien sei deswegen eine Freilassung auf Kaution in solchen Fällen verboten, betont Albanese.
Die Suche geht weiter
Im Hafen Gioia Tauro hat der Einsatz des Spürhundes keinen Erfolg gebracht. Der graue Container aus Kokumbien wird jetzt geröntgt, um auszuschließen, dass andere Güter als Rohrzucker verstaut sind.
Die Mafia werde immer geschickter, stellt Giorgio Pugliese nüchtern fest. Er leitet heute die Durchsuchungen in Italiens größtem Containerhafen. Sie lasse sich immer wieder etwas Neues einfallen. Die Fahnder, so Pugliese, müssten ständig dazulernen und ihren Horizont erweitern. Ein Ende des Katz-und-Maus-Spiels in Gioia Tauro ist nicht in Sicht.
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