
Krise in Belarus Tichanowskaja gegen Einmischung Russlands
Stand: 27.08.2020 14:46 Uhr
Die belarussische Oppositionelle Tichanowskaja sieht die Macht von Präsident Lukaschenko stark geschwächt. Eine Einmischung Russlands lehnt sie ab. Kremlchef Putin nannte mögliche Voraussetzungen für ein Eingreifen.
Die belarussische Oppositionspolitikerin Swetlana Tichanowskaja hat sich gegen eine Einmischung Russlands im Machtkampf in ihrer Heimat ausgesprochen. Es handele sich um eine Krise, die innerhalb von Belarus gelöst werden müsse, sagte sie in einem Live-Gespräch mit dem russischen Radiosender Echo Moskwy.
"Wir sind gegen eine Einmischung Russlands", sagte sie auf die Frage, was sie vom Einsatz von Mitarbeitern russischer Staatsmedien zur Unterstützung von Präsident Alexander Lukaschenko halte. Der 65-Jährige hatte sich die Propagandisten aus Moskau als Streikbrecher kommen lassen, nachdem belarussische Journalisten ihm den Rücken gekehrt hatten. Russland selbst warnt den Westen immer wieder vor einer Einmischung in der Ex-Sowjetrepublik.
Russische Sicherheitskräfte stehen bereit
Russland halte eigene Sicherheitskräfte in Reserve für den Fall eines Eingreifens, sagte der russische Präsident Wladimir Putin. Das sei auf Bitten von Präsident Alexander Lukaschenko erfolgt, sagte der Kremlchef dem Sender Rossija 1.
Er sei sich aber mit seinem Kollegen in Minsk einig gewesen, dass es einen Einsatz nur unter bestimmten Voraussetzungen gebe, nämlich "wenn die Situation außer Kontrolle gerät und extremistische Elemente, die sich hinter politischen Parolen verstecken, bestimmte Grenzen überschreiten", so Putin. Er listete als Beispiele Raubüberfälle, in Brand gesteckte Autos oder Bankraube. In einem Gespräch seien sie zu dem Schluss gekommen, dass es einen solchen Bedarf nicht gibt", meinte der Kremlchef. "Und ich hoffe, dass es auch nicht soweit kommen wird." Russland sei ein enger Verbündeter von Belarus.
Ziel: Neuwahlen
Tichanowskaja, die mehrere Interviews gab, sagte, dass ihr wichtigstes Ziel weiter Neuwahlen um das Präsidentenamt seien.
Der "Welt" sagte die Oppositionspolitikerin, dass Lukaschenko stark geschwächt sein:
"Er mag vielleicht Macht über den Sicherheitsapparat haben, aber er hat keine Macht mehr über die einfachen Menschen, diejenigen, die auf die Straße gehen. Niemand mehr traut ihm, niemand will ihn als Präsidenten sehen. Das heißt, dass er früher oder später abtreten muss."
Lukaschenko hatte sich nach der Wahl am 9. August nach 26 Jahren an der Macht zum sechsten Mal zum Sieger erklären lassen - mit 80,1 Prozent der Stimmen. Das Ergebnis wird international als grob gefälscht angesehen.
Proteste in Belarus - Tichanowskaja wandte sich an EU-Abgeordnete
tagesschau 20:00 Uhr, 25.08.2020, Jo Angerer, ARD Moskau
Maas kündigt stärken Druck der EU an
Die EU-Außenminister beraten heute in Berlin über die Lage in Belarus. Bundesaußenminister Heiko Maas kündigte vor dem Treffen an, den Druck auf Lukaschenko zu erhöhen. Man müsse davon ausgehen, dass die Härte, mit der Lukaschenko durchgreift, noch schlimmer werde.
Die Menschen- und Freiheitsrechte müssten auch in Belarus eingehalten werden, die Leute sollten ihre Meinung sagen und auf der Straße demonstrieren dürfen, betonte Maas. Es gehe nicht darum, Belarus in die EU oder die NATO zu integrieren, sondern einen Dialog zwischen der Opposition und Lukaschenko - mit Hilfe der OSZE - zu ermöglichen.
Russland hatte die EU und die USA vor einer Einmischung in Belarus und vor Sanktionen gegen sein Nachbarland gewarnt. Es dürfe während der Diskussionen über die gegenwärtige Lage in Belarus keinen Versuch geben, Druck auf die Führung in Minsk auszuüben - weder in politischer Hinsicht noch durch Sanktionen, erklärte das Außenministerium in Moskau.
Tichanowskaja würdigt mutige Frauen
Tichanowskaja hob auch die wichtige Rolle mutiger Frauen bei der demokratischen Revolution hervor. Der "Bild"-Zeitung sagte sie:
"Normalerweise machen Männer Revolutionen und die Rolle der Frau bei uns ist es, an der Seite der Männer zu stehen. Aber in diesem Wahlkampf mussten wir Frauen anstelle unserer Männer stehen."
Die 37-Jährige ist aus Angst um ihre Sicherheit und die ihrer Familie ins EU-Land Litauen geflüchtet. Nach der blutigen Polizeigewalt gegen Demonstranten in den Tagen nach der Wahl waren es vor allem Frauen, die sich tagsüber wieder zu Demonstrationen gegen Lukaschenko auf die Straßen wagten. "Es war wunderschön und couragiert, das mit ansehen zu dürfen. Ich war wirklich beeindruckt", sagte Tichanowskaja.
Verhöre und Gefängnisstrafen
Als eine führende Persönlichkeit der Demokratiebewegung wurde Maria Kolesnikowa bei den Ermittlern vorgeladen. Die 38-Jährige sitzt im Präsidium des Koordinierungsrates der Zivilgesellschaft für einen friedlichen Machtwechsel. Lukaschenko hat angekündigt, das Gremium zu zerstören.
Zwei Mitglieder sind bereits zu zehn Tagen Gefängnis verurteilt worden. Zudem geht der Machtapparat gegen Streikführer in den Staatsbetrieben vor. Die Lage in der Hauptstadt ist angespannt.
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