
Proteste im Libanon Zwischen Revolution und Hoffnung
Stand: 10.08.2020 14:52 Uhr
Wütend waren die Menschen im Libanon schon vor der Explosion. Die Katastrophe hat die Proteste noch einmal angefacht. Die einen fordern eine neue Regierung, die anderen, dass die Regierung ihre Arbeit machen soll.
Von Jürgen Stryjak, ARD-Studio Kairo, zzt. Berlin
Auch in der vergangenen Nacht haben Menschen in der Beiruter Innenstadt protestiert, aber im Vergleich zu den Massenprotesten der vergangenen Monate sind es eher wenige, die jetzt auf die Straße gehen. Manchmal einige Tausend, dann wieder nur einige Hundert.
Zu den Demonstranten gehört auch Abdelrahman. "Unsere erste Reaktion nach der Explosion vom Dienstag war, dass wir die Trümmer wegräumen wollten", erzählt er. Am ersten Tag nach der Katastrophe hätten sie die Straßen gesäubert, genauso am zweiten und am dritten Tag.
"Aber jetzt möchten wir, dass unsere Forderungen gehört werden", sagt Abdelrahman. Zu den Forderungen gehört ein grundlegender politischer Wandel sowie der Rücktritt der Regierung.
Schwere Proteste in Beirut
tagesschau 16:00 Uhr, 10.08.2020, Simon Riesche, SWR
"Wir wollen eine Revolution"
Auf dem Beiruter Märtyrerplatz sitzen Dutzende zumeist junge Libanesen unter Spruchbändern und den Nationalflaggen des Landes. Aus Lautsprechern ertönt Musik. Ahmed Shehada hat es nicht überrascht, dass die Sicherheitskräfte am Wochenende brutal gegen Protestierende vorgingen. "Wir wollen eine Revolution, und Revolution bedeutet Blut. Entweder sie töten uns oder wir töten sie. Am Ende werden sie gewinnen oder wir. Sie werden sterben oder wir."
Inzwischen hat der Gouverneur von Beirut neue Zahlen zu den Folgen der Explosionskatastrophe bekannt gegeben. Mindestens 150 Menschen seien ums Leben gekommen und mehr als 6000 verletzt worden. Schätzungsweise 80.000 Häuser seien beschädigt worden.
Hoffnung auf Überlebende
Während einige Libanesen protestieren, weil sie wollen, dass die Regierung ihre Forderungen erfüllt, erwarten andere von ihr, dass sie sie endlich von ihrer lähmenden Ungewissheit befreit. So wie Elie und Tatiana Hasrouty, die auf eine Nachricht von ihrem Vater warten. Er hat zum Zeitpunkt der Explosion im Hafen gearbeitet, in einem großen Silo. Er könnte in den Trümmern des Silos überlebt haben.
Eilie Hasrouty sagt, die Leichname zweier Kollegen seines Vaters seien inzwischen gefunden worden, aber zum Verbleib des Vaters hätten sie keine Informationen, obwohl sie wüssten, wo er sich zum Zeitpunkt des Unglücks befunden habe. "Wir möchten, dass sich endlich jemand kümmert“, sagt er. Für die Behörden seien die Vermissten vielleicht einfach nur Zahlen, aber für sie gehe es um ihren Vater. "Sie ignorieren unseren Schmerz", fügt er hinzu.
Seine Schwester Tatiana will die Hoffnung nicht aufgeben und appelliert an die Behörden: "Wir flehen die Regierung an, uns zu helfen. Bitte macht eure Arbeit." Jeder Moment, der verstreiche, verringere die Chance, dass er lebend gefunden werde. Sie werden weiter auf ihren Vater warten, sagt sie - auf ihn und die anderen Vermissten.
Proteste in der Innenstadt Beiruts nehmen ab
Jürgen Stryjak, ARD Kairo
10.08.2020 13:14 Uhr
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